Erinnerungen 5
Unsere Aktion zum 75. Jubiläum der Eichenschule läuft immer noch und wir würden uns über die Zusendung weiterer Anekdoten, Bilder und kleiner Geschichten freuen. Hier kommen die neusten Zusendungen von Ehemaligen aus Schule und Internat:
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Erinnerungen von Elizabeth Pusey
Sie war 1993 als Praktikantin und Assistant-Teacher im Internat der Eichenschule
Schöne Grüße aus England! Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern, die Engländerin, die vor schon 30 Jahren (wie die Zeit vergeht!) als Helferin im Internat wohnte, aber das Schicksal wollte, daß ich gestern während der Kaffeepause beim Surfen auf den Eichenschule-Blog landete and so entdeckt habe, daß die Schule im kommenden Sommer ihr 75-jähriges Jubiläum feiert, und daß Erinerungen gesucht werden…
Also Folgendes kann ich zum Besten geben:
1993 hatte ich meine ´A-levels´ absolviert und wollte den Anbeginn der Unizeit um ein Jahr verschieben um mich besser darauf vorbereiten zu können, hatte aber keinen richtigen Plan. Glücklicherweise hat meine Deutschlehrerin mir eine Formular in die Hand gedrückt, womit ich mich um ein Platz als ´Helferin´ in einer deutschen Internatsschule bewerben sollte. Und so begann ein Jahr, das mich sehr geprägt hat (positiv gemeint!).
Ich rief bei Herrn Dr Müller-Scheeßel an, sein Sohn sagte, er sei auf Urlaub, und kurz darauf bekam ich tatsächlich einen Brief aus Frankreich. Damals gab es kein Internet, keine Möglichkeit, alles im voraus zu recherchieren – ich hatte nur eine Flugkarte, eine Adresse und den Namen eines gewissen Herrn Grenz-Gieseke, der mich abholen und zum Internat bringen sollte!
Von Anfang an fühlte ich mich dort zu Hause. Die Grenz-Giesekes waren Leiter von Haus D (mit Hilfe von Lino, Finn, Janne und Hund Barney!). Frau Gieseke hatte die für mich reservierte Dienstwohnung in Haus F ganz gemütlich gemacht – eine hübsche Kerze stand auf dem Tisch – und ich wurde den Leitern von Haus G auch vorgestellt, Dr. und Frau Stiller. Die Internatler waren alle sehr freundlich, und es herrschte eine eher internationale Stimmung; Deutschland war noch relativ frisch wiedervereinigt, und aus der ehemaligen Sowjetunion waren russischsprachige Deutsche zurückgekommen, so daß ich den Glück hatte, einen Einblick nicht nur in die deutsche Kultur bekam, sondern ein bißchen auch in die sowjetische.
Mittel im Jahr bin ich innerhalb des Internats umgezogen – ich habe die Wohnung in dem ansonsten unbewohnten Haus F gegen das gleiche Modell in Haus E getauscht, die gerade aufgemacht wurde. Vier musterhafte Jungs sind eingezogen, mußten aber betreut werden… von mir (obwohl ich 19 Jahre alt war, und einer von ihnen 22!). Ich, Christian, Alex, Arek und Holger. Das war ganz schön zivilisiert. Blick vom Küchenfenster auf dem leicht dämpfenden benachbarten Freibad…
Als allererste ´Helferin´ and der Eichenschule war ich weder Schülerin noch Lehrerin. Aus dem Prospekt: „Die Aufgaben der Helfer und Helferinnen umfassen ca. 12 Stunden pro Woche und bestehen darin, den Schülern bei den Hausaufgaben zu helfen und sie mit zu betreuen, während der Mahlzeiten mit ihnen Englisch zu sprechen (!), dem englischen Fachlehrer zu assistieren und an extracurricularen Aktivitäten teilnehmen. Um den Helfern und Helferinnen Gelegenheit zu geben, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und zu erweitern, werden Schule gebeten, sie in dafür geeigneten Klassen hospitieren zu lassen.“
Ich war dabei in den französischen und deutschen Leistungskursen mit Frau Teumer und Herrn Baudisch. Später, als ich beim Studium mich mit Berlin Alexanderplatz, Tonio Kröger und die Leiden des jungen Werthers beschäftigen mußte, war ich Herrn Baudisch sehr dankbar! Doch während der Pause saß ich beim Kaffeetrinken im Lehrerzimmer mit Frau Teumer, Frau Frey und Herrn Schneevoigt. Der Französischen LK war besonders lustig, weil aus meiner Sicht von einem Fremdsprache direkt in eine anderen übersetzt wurde; als ich Vokabellisten aufschrieb, gab es noch eine Spalte fur Englisch!
Ich ging jede Woche in die Chorprobe, unter der Leitung von Herrn Michalek. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es im Rahmen einer vorweihnachtlichen Übungswoche war, als ich mit einer Gruppe nach Hitzacker an der Elbe fuhr. Ganz gut habe ich in Erinnerungen aber, daß die Außentemperatur -10°C betrug! Das eigentliche Konzert habe ich verpaßt, weil ich Weihnachten in England verbrachte. Im sehr sonnigen Sommer dagegen ging es los nach Weimar für eine von Herrn Baudisch and Herrn Dr Muller-Scheeßel geleiteten Klassenfahrt mit Schwerpunkt Geschichte und Literatur. Wir haben die Gedenkstätte Buchenwald besichtigt und uns dann eine moderne Aufführung von Lessings Nathan der Weise angeschaut. Ich weiß noch, daß die Kulissen vorwiegend aus Bettlaken zu bestehen schienen. Wie Dr Muller-Scheeßel sagte, hier sahen wir unweit von einander das Beste und das Schlimmste von Deutschlands Vergangenheit. Die Fußball WM sorgte für Erleichterung; in der Jugendherberge gab es normalerweise keinen Fernseher, aber keiner wollte auf dem Spiel Rumänien-Deutschland verzichten, also wurde einen aufgetrieben und am Abend haben wir das Spiel verfolgt. Natürlich habe ich der deutschen Mannschaft zugejubelt!
Das Leben im Internat hatte sein Rhythmus. Nachmittags gab es die Tagesheimschule in Haus F, und irgendwann tauchten dann die mit Marmelade oder Nutella beschmierten Brötchen auf. Beim Abendessen wirkte den Spruch „Gesegnete Mahlzeit!“ fast wie ein Startsignal bei einem Wettrennen – wer würde am schnellsten das Essen zurück zum Tisch bringen? Und immer wieder die witzige Frage, ob man jemanden anderen das Wasser reichen könnte… Wenn eine(r) von uns Geburtstag hatte, bekam er/sie eine Tafel Schokolade. Am Nikolaustag gab es auch Süßigkeiten. Abends sammelten sich viele im Treff, wo unter Aufsicht der Hausleiter Billard gespielt und Bier getrunken wurde. Künstlerische Aktivitäten gab es auch – zB ein Projekt, Schattenrissbilder der Bewohner von Haus D auf der Wand im Fernsehraum zu malen. An einem Feiertag haben wir auch Seidenmalerei gemacht. Das war mir völlig neu. Ich war so stolz auf die Krawatte, die ich für meinen Vater gemacht hatte, daß er es mir zuliebe beim Universitätsabschlussfeier getragen hat! – und bis heute weiß ich nicht, wie ´Konturmittel´ auf englisch heißt! Gipsmasken haben wir auch mal gebastelt. Am Wochenende wurden die verbliebenen Internatler vom Wochenenddienstpersonal betreuet. Einmal sind wir nach Hamburg ins Kino gefahren, um Schindlers Liste zu sehen. Ich bin kein Fan von Synchronisierung, aber im Interesse des Deutschlernens habe ich das hingenommen… und auf deutsch wirkte es noch beeindruckender als sonst.
Der Internatssaal, das uns als Esszimmer diente, wurde auch als Theater benutzt. Hier habe ich Einer flog übers Kuckucksnest gesehen, eine sehr rührende Produktion vom Theater AG unter der Leitung von Herrn Stermann. Vor dem Saal lag der Sportplatz, der zur Zeit neu war – es gab ein großes Einweihungsfest kurz nach meiner Ankunft. Das Trauerhaft daran is daß eines von den Mädchen, Harriet, die als Tennisspielerin eine große Rolle dabei hatte, kurz vor Weihnachten war sie in einem Autounfall, und als ich nach Weihnachten zurückkam war sie gestorben. Sie lebt aber in der Erinnerung.
Weitere Mitglieder der ´Internatsfamilie´ zu meiner Zeit waren:
Kiki, Mary, Choi, Kyri, Frank, Martin, Anna, Ljuba, Tanja, Tanja Klassen, Helena, Katerina, Maja, Patrijzia, Ina, Ima, Olga, Chriso, Bumpei, Elena, Valentina, Benny, Bernd, Roland, Martin, Jan, Rainer, Carsten. Vielleicht werden sie auch Anekdoten anbieten!
Und was aus mir geworden ist?
1994 habe ich mein Studium an Exeter University begonnen (Deutsch und Französisch). Dank meiner Zeit in Scheeßel war ich der `native speakers group` zugeteilt! So waren die Grammatik- und Sprachstunden viel heiterer als sonst, und alle Bücher, die auf das Lernprogramm standen, hatte ich schon in der Freizeit in Scheeßel schon durchlesen können.
1996 verbrachte ich ein Jahr in Frankreich (nochmal als Assistentin in einer Internatsschule) als Teil des Studiums.
1998 kam Abschlußfeier Nr. 1 . Großer Erfolg: First Class Degree with Distinction in Spoken French and German! Leider wurde gerade in dem Moment die neue Rechtschreibung eingeführt… 10 Jahre Mühe umsonst, ich habe mir dieser neuen Variante nie anfreunden können, deswegen die viele jetzt völlig falschen ´ß´s in diesem Text!
1999-2000 habe ich dann weiterstudiert, diesmal Literarische Übersetzung – aber leider einschließlich Französisch-Englisch und umgekehrt, denn keinen Kurs angeboten wurde, die auch Deutsch umfaßte. Nochmal großer Erfolg, aber dann schon wieder kein Plan. Die ganz enttäuschten Dozenten haben aber noch eine pädagogische Rolle für mich gefunden, und als Lektorin lang war ich an der Université de Paris in Nanterre tätig – so ähnlich wie Helferin…
Und dann ging es zurück in die Heimatstadt, und da ich keine Arbeit fand in dem staatlichen Etablissement, die sehr viele Sprachmenschen anstellt, bin ich endlich Sekretärin in der Radiologie im Krankenhaus geworden, allerdings eine die gerne per Internet immer noch NDR Info zuhört und noch in einem Chor mitsingt! In Pariser Notre Dame haben wir schon gesungen, aber noch nicht in Deutschland…
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