Erinnerungen 6
Unsere Aktion zum 75. Jubiläum der Eichenschule läuft immer noch und wir würden uns über die Zusendung weiterer Anekdoten, Bilder und kleiner Geschichten freuen. Hier kommen die neusten Zusendungen von Ehemaligen aus Schule und Internat:
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Ganz maßgeblichen Anteil an der Gründung der späteren Eichenschule hatte die erste „Elternsprecherin“ Ursula Müller-Scheeßel. Da englische Besatzungstruppen das Wohnhaus an der Mühle für ihre Zwecke nutzten, kam sie mit ihren Kindern 1945 für einige Monate im Gutshaus in Veerse unter. Hier fand die erste Kontaktaufnahme mit Familie Strunck statt, da Struncks geschiedene Ehefrau Silvia und seine zweite Ehefrau Jutta gemeinsam mit den sechs Strunckschen Kindern hier ebenfalls als Flüchtlingsfamilie einquartiert waren. Silvia Strunck war ausgebildete Lehrerin, an der Scheeßeler Volksschule fiel wegen Raum- und Lehrkräftemangels viel Unterricht aus und so richteten beide in Veerse eine erste kleine „Schule“ für die vielen Kinder ein, an der sich nach und nach weitere Scheeßeler Schülerinnen und Schüler beteiligten und die später ab Mai 1947 als „Familienschule Ursula Müller-Scheeßel“ in einem Kinderzimmer der Scheeßeler Mühle unter Leitung des zurückgekehrten Schulleiters Robert Strunck ihre Fortsetzung fand. Jan Müller-Scheeßel (Abitur 1987) hat in Aufzeichnungen seines Vaters aus dem Jahr 1995 folgenden Bericht zur Frühzeit der Eichenschule gefunden:
„Die Eichenschule
Robert Strunck, aus Ostdeutschland geflüchtet, lebte im Sommer 1945 mit zwei Frauen, der angetrauten und der geschiedenen Ehefrau, und den Kindern aus beiden Ehen in einer Häuslingswohnung auf Gut Veerse. Als Oberschullehrer war er arbeitslos und musste sich nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen. Zu jener Zeit lernte die Mutter ihn kennen und in einer Reihe gemeinsamer Gespräche entwickelte sich die Idee, Annemargret, die jüngste Schwester des Autors, zusammen mit anderen gleichaltrigen Scheeßeler Kindern auf dem Niveau einer 5. Oberschulklasse durch den Lehrer Strunck unterrichten zu lassen. Also begann am 1. Mai 1947 für 12 Mädchen und Jungen das 5. Schuljahr auf der Scheeßeler Mühle, und zwar in dem durch eine Bretterwand unterteilten Kinderzimmer des 1. Stocks auf der Nordwestseite des Hauses. Lehrer Strunck vollzog den Unterricht meist von einer alten Torfkiste aus, und Annemargret konnte, wenn sie wollte, selbst in bettlägrigem Zustand die Schulstunden auf der anderen Seite der Holzwand verfolgen. Als Schulhof fungierte der gepflasterte Platz zwischen Wohnhaus, Mühle und Straße, der sich nicht immer als ideal erwies. Denn als z. B. Annemargret dort eines Tages hinschlug und vorübergehend das Bewusstsein verlor, hörte sie, gerade wieder zu sich kommend, einen Schüler sagen: „Herr Strunck, ich glaube, Annemargret stirbt!“ Bei nicht so gründlicher Vorbereitung des Lehrers auf den Unterricht, was gelegentlich vorgekommen sein soll, wurde der Wald des vorderen „Bienenzauns“ zum erweiterten Pausen- und Spielhof. Als es darum ging, der kleinen Unterrichtsgruppe einen Namen zu geben, fiel den Schülern nach einem Blick durch das Fenster auf die jahrhundertealte Eiche spontan „Eichenschule“ ein. Damit hatte das für Scheeßel so wichtig werdende Institut zumindest seinen Namen bekommen.
Zwei Jahre wurden die 12, später 13 Schülerinnen und Schüler auf der Scheeßeler Mühle unterrichtet, doch konnte dies keine Dauerlösung sein. Außerdem hätte man Robert Strunck damals falsch eingeschätzt, wenn man geglaubt hätte, dass er sich mit dieser Art von Privatunterricht zufriedengeben würde. Schließlich hatte er früher schon mal eine ganze Schule, die deutsche Schule in Kabul, geleitet. So beschloss man als Sofortmaßnahme die Einstellung eines weiteren Lehrers, der zu Beginn des 7. Schuljahrs der ersten Unterrichtsgruppe eine neu zu bildende 5. Klasse betreuen sollte, und so geschah es auch. Die 7. Klasse zog in die „blaue Höhle „, einem kleinen Saal in der Gastwirtschaft „Scheeßeler Hof“, während die neue “ Fünfte“ unter der Leitung des frisch eingestellten Lehrers Mell im Konfirmandensaal des Kirchengemeindehauses Unterschlupf fand. Doch natürlich wollte man jetzt noch weit höher hinaus. Das Ziel dürfte schon damals eine bis zur 13. Klasse geführte Schule mit staatlich anerkanntem Abitur gewesen sein.
Um die wirtschaftliche Basis sicherzustellen und zur Konzipierung eines Schulgebäudes gründeten interessierte Eltern der Gemeinde bereits im November 1948 eine Schulgenossenschaft und konnten schon im Januar 1950 die neuen Klassenräume an der Königsberger Straße einweihen. Da befürchtet wurde, daß es in der Gemeinde zu wenig Schüler für eine Oberschule des geplanten Umfangs geben würde, plante man auch schon frühzeitig die Einrichtung eines Schulinternats, um zusätzlich durch Kinder und Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik zu den aus wirtschaftlichen Gründen notwendigen Klassenfrequenzen zu gelangen. Zu diesem Zweck wurden Wohnhäuser wie das leerstehende Herrenhaus auf Gut Veerse und das 1952 nach dem Tod von Großvater Leo freigewordene Wohnhaus hinter dem Mühlenwäldchen (später Mühlenstraße 41) angemietet und zur Unterbringung und Versorgung auswärtiger Schüler genutzt, bis dann ab 1966 die eigenen am Vareler Weg neu errichteten Internatsgebäude bezogen werden konnten. So sind also für das Unternehmen „Eichenschule“ sowohl für den Schul- als auch für den Internatsbetrieb entscheidende Gründungsimpulse von der Scheeßeler Mühle ausgegangen.“