Interview III
Helmut Reitz wird 1953 an der Eichenschule eingeschult, 1962 gehört er zum sechsten Abiturjahrgang. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann ist er als Mitinhaber und Geschäftsführer der Lederfabrik, später des Nachfolge-Unternehmens Dönitz Verpackungen in Scheeßel tätig. Von 1995 bis 2001 war er für zwei Amtsperioden Mitglied des Genossenschaftsvorstands. Zwei seiner drei Söhne haben ebenfalls an der Eichenschule Abitur gemacht. Helmut Reitz lebt mit seiner Frau in unmittelbarer Nachbarschaft der Schule in Scheeßel.
Redaktion: Seit wann ist die Familie Reitz mit der Eichenschule verbunden?
Reitz: Seit 1947. Mein Großvater hat das Unternehmen „Eichenschule“ von Anfang an gesponsert. und einen der ersten Genossenschaftsanteile im November 1948 erworben, obwohl seine Enkelkinder damals noch gar nicht in einem gymnasialen Alter waren. Als Kommunalpolitiker für die Gemeinde und den Kreis hat mein Großvater sofort die wirtschaftlichen Chancen erkannt, die sich für Scheeßel insbesondere durch den geplanten Internatsbetrieb ergaben. Als Vorsitzender des Sparkassen-Verwaltungsrats stand er zudem in direktem Kontakt mit Sparkassendirektor Karl Born, einem der Initiatoren des Schulprojekts. Zudem waren seine eigenen Kinder in den 20er und 30er Jahren für ihre höhere Schulbildung täglich mit dem Zug nach Bremen gefahren. In der Eichenschule sah er die Möglichkeit, seinen Enkeln den langen Schulweg zu ersparen.
Redaktion: Wann und wie erfolgte Deine Aufnahme an die Eichenschule?
Reitz: Das geschah durch eine Aufnahmeprüfung: Die Aufnahme-Kandidaten entschieden sich im Rahmen dieser Prüfung für eine Fremdsprache, die sie eine Woche lang erlernten und in der sie dann am Wochenende getestet wurden. Ziel war es, zu kontrollieren, ob die künftigen Eichenschüler in der Lage waren, logisch und strukturell zu denken. Man benötigte diesen Aufnahmefilter, da die Nachfrage an Schulplätzen das Angebot weit überstieg.
Redaktion: Kannst Du kurz berichten, wie wir uns Unterricht in den ausgehenden 50er Jahren an der Eichenschule vorstellen können?
Reitz: Mir fällt da als Erstes die große Fluktuation im Kollegium ein. Viele junge Lehrkräfte verließen die Eichenschule nach kurzer Zeit wieder und kamen als Beamte an einer staatlichen Schule unter. Ersetzt wurde sie durch Lehrkräfte, die als Flüchtlinge aus der DDR in den Westen gekommen waren und sich sagten: „Egal, wenn es die norddeutsche Provinz ist. Hauptsache ich bekomme eine Anstellung.“ So zog ein geflüchteter Lehrer den anderen nach, wie es beispielsweise bei Dr. Dietel und Kurt Schwerdtfeger der Fall war.
Der Unterricht war damals natürlich viel autoritärer. Vor allem der Gründungsschulleiter Strunck erwartete den Respekt seiner Schüler. Er konnte zuweilen auf Ordnungswidrigkeiten jähzornig reagieren. Er wohnte ja in der Schule. Wenn er morgens aus seiner Wohnung in den Schulflur trat und in der ersten Stunde dort Schüler „herumlungern“ sah, fingen die sich sofort eine Backpfeife, weil sie wegen eines Vergehens vom Lehrer vor die Tür gesetzt worden waren. Dies war Strunck klar, denn hätte ein Schüler erst zur zweiten Unterrichtsstunde erscheinen müssen, wäre er sicher nicht zu früh im Schulgebäude gewesen. Wer sonst irgendetwas verbrochen hatte, wurde von Strunck in den nahen Wald geschickt, um einen Stock zu holen, mit dem er oder sie dann vom Schulleiter persönlich verprügelt wurde. Aber Strunck hatte auch Humor: Als einmal am 1. April einige Schüler sein VW-Cabrio in den Schulflur vor sein Direktorenzimmer schoben, so dass er die Tür kaum öffnen konnte, erhielten die Initiatoren für den gelungenen Scherz einen Tag schulfrei.
Und dann erinnere ich mich an einen Latein-Zusatz-Kurs bei Dr. Oldecop – und das vor allem deswegen, weil damals der gesamte Schulstundenplan um die Wünsche Oldecops herumgebaut wurde. Ich hatte beispielsweise vor dem Lateinunterricht regelmäßig zwei Freistunden, weil Dr. Oldecop seinen Unterricht erst in der 7. Stunde abhalten wollte. Heute vermutlich undenkbar!
Redaktion: Und wie sah Sportunterricht in den 50er Jahren aus?
Reitz: Da kann ich Anekdotisches berichten: Wir hatten bei dem verehrten Franz Dubau Sportunterricht, und dieser fand im Sommer auf dem jetzigen Pausenhof Königsberger Straße / Vareler Weg statt. Fußball war für mich ein Gräuel. Das wusste Herr Dubau: „ Auf besonderen
Wunsch eines einzelnen Herren wollen wir heute Fußball spielen.“ Zunächst mussten einmal die Mannschaften gewählt werden. Ich versteckte mich hinter den Pappeln am Rand des Grundstücks, um evt. übrig zu bleiben. Er durchschaute meinen Plan sofort :“ Ritze 2 ( Ritze 1 war bei ihm mein Vater, mit dem er dienstags bei Marga, das war unsere Schülerkneipe im Schützenhof, knobelte und Ritze 3 und 4 meine Brüder), zur Strafe läufst Du jetzt nach Helvesiek und zurück (2 x 4,5 km)“. Ich lief los und auf dem Rückweg überholte mich ein Trecker mit Anhänger. Ich ergriff die Gelegenheit und sprang auf den Anhänger und fuhr bis kurz vor die Schule mit. „In der Zeit kannst Du die Strecke nicht gelaufen sein!“ „Doch, ich bin schnell.“ Er traute mir nicht. Am nächsten Tag musste ich die Strecke noch einmal laufen, und er fuhr mit seinem VW-Cabrio neben mir her. In Helvesiek musste ich um sein Auto herumlaufen und zur Schule zurück. Er stoppte die Zeit. Jetzt kam der Schwindel heraus. Strafe: Ich musste ihm abends bei Marga „einen ausgeben“.
Redaktion: Im Vorfeld der Generalversammlung der Schulgenossenschaft 1958 kam es zu einem Konflikt zwischen dem Schulleiter Robert Strunck und dem Genossenschaftsvorstand unter Karl Born, mit dem Ergebnis, dass auf der Generalversammlung beide von ihren jeweiligen Posten zurücktraten. Kennst Du die Hintergründe des Streits?
Reitz: Nein, dazu kann ich leider nichts sagen. Ich war damals 16 Jahr alt. Da interessiert man sich für solche Dinge nicht.
Redaktion: Wie läuft 1962 eine Abitur-Entlassungsfeier ab?
Reitz: Feierlich! Wir wurden in der Aula der Eichenschule, dem heutigen Oberstufenraum, verabschiedet. Es gab Reden unseres Jahrgangsvertreters Wilhelm-Ernst von Hardenberg, der Schulsprecherin Elisabeth von Buchholtz, Herrn Dr. Dietel als Klassenlehrer, dem Schulleiter Dr. Leewe und Paul Karl Schmidt vom Genossenschaftsvorstand. Zwischen den Reden bot der Schulchor erbauliche Lieder von Haydn, Beethoven, Gluck und Händel dar. Wie gesagt: Eher ernst und feierlich als unterhaltsam.
Am Abend gab es einen Abiturienten-Ball im Gasthof Behrens, den der 12. Jahrgang für uns organisierte.
Redaktion: Hast Du heute noch Kontakt zu Mitgliedern Deines Abiturjahrgangs?
Reitz: Aber klar! Unser Jahrgang ist vermutlich derjenige, bei dem der Zusammenhalt am stärksten ist. Zunächst haben wir uns nach dem Abitur alle fünf Jahre getroffen, seit rund 20 Jahren treffen wir uns jährlich. Ein Jahrgangsteilnehmer richtet die Veranstaltung aus; ich hatte schon Klassentreffen in der Schweiz und auf Teneriffa.
Redaktion: Wie werdet ihr dieses Jahr Euer 60jähriges Abitur feiern?
Reitz: Wir planen, diesen Jahrestag gemeinsam mit dem Eichenschuljubiläum zu begehen. Wir werden uns jedenfalls in der Festwoche von Mittwoch bis Samstag in Scheeßel treffen. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit, am Festakt teilzunehmen. In jedem Fall werden wir die Jubiläumsausstellung zum 75jährigen Bestehen der Eichenschule im Kunstgewerbehaus auf dem Meyerhof und den Tag der offenen Tür besuchen.
Redaktion: 35 Jahre nach Deinem Abitur hast Du Dich für zwei Amtsperioden in den Vorstand der Schulgenossenschaft wählen lassen. Deine Söhne hatten da längst ihr Abitur in der Tasche. Was hat Dich angetrieben, sich für dieses zweifellos zeitraubende Ehrenamt zur Verfügung zu stellen?
Reitz: Die Initiative ging damals von Dr. Karsten Müller-Scheeßel aus. Es waren wirtschaftlich schwierige Zeiten für die Schulgenossenschaft und man wollte kaufmännischen Sachverstand in den Vorstand holen.
Redaktion: Während die Eichenschule in dieser Zeit in Bezug auf pädagogische Konzeptionen im Rückblick fast als „Trendsetter“ bezeichnet werden kann, waren die wirtschaftlichen Verhältnisse keineswegs ähnlich rosig. War aus Deiner Sicht die Entscheidung, den Internatsbetrieb einzustellen, im Rückblick alternativlos?
Reitz: Klares „Ja!“. Es gab in den 90er Jahren deutschlandweit ein großes „Internatssterben“. Diese Schulkarriere war einfach aus der Mode gekommen. Der defizitäre Internatsbetrieb hätte aus meiner Sicht die Schulgenossenschaft insgesamt in den Konkurs treiben können. Wenigstens stellte er ein riesiges Investitionshemmnis für die Schule dar. Natürlich gab es starke Kräfte, die aus respektablen Gründen an dieser Säule der Eichenschule festhalten wollten, aber letztlich halte ich die Schließung des Internats auch im Rückblick für alternativlos.
Redaktion: Was wünscht Du der Eichenschule zum 75. Geburtstag?
Reitz: Ein langes Leben! Und eine weiterhin eine so positive pädagogische Entwicklung, die weit in die Region wirkt.
Redaktion: Lieblingslehrer und Lieblingsfach?
Reitz: Dr. Dietel. Als Lieblingsfach würde ich Französisch nennen, das damals von Frau Althans und Herrn Pinkwart unterrichtet wurde.
Redaktion: Helmut, wir danken Dir für die spannenden Einblicke in längst vergangene Eichenschul-Zeiten.